Menü
06.09.21 –
Warum thront ein kolossaler Kopf mit gereckter Faust auf einem Betonklotz nahe der Greifswalder Straße? Die Geschichte des Denkmals für den Kommunistenführer Ernst Thälmann sollte längst auf mehreren Informationsstelen rund um den Kopf erklärt sein. Das hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) 2013 einstimmig beschlossen. Im Antrag hieß es, das Denkmal müsse eine historisch-kritische Kommentierung erhalten. Inzwischen ist die Aufstellung von zwei Stelen für diesen November geplant. Doch um die Art der Kommentierung gibt es seit Jahren Streit, erneut eskalierte er in der BVV am vergangenen Mittwoch.
Zu kritisieren gibt es einiges, sowohl an Thälmann wie auch am Denkmal und seiner Bedeutung in der DDR. Der überzeugte Stalinist setzte als KPD-Vorsitzender die von Moskau ausgegeben Sozialfaschismus-These durch, die besagte, vorrangig sei die SPD zu bekämpfen. Kommunist*innen, die ein antifaschistisches Bündnis mit der SPD gegen den Aufstieg der Nazis forderten, schloss er aus der Partei aus.
Die SED-Führung stilisierte den 1944 von den Nazis in Buchenwald ermordeten Thälmann zum kinderliebenden Helden. Scharen von Jung-Pionieren mussten ihm die Treue schwören.
1980 setzte dann die SED-Führung das monumentalistische Denkmal des sowjetischen Künstlers Lew Kerbel gegen den Künstlerverband der DDR durch, der einen begehbaren Denkmalsentwurf mit Spiegeln favorisierte. Es gab Protest innerhalb der Bevölkerung, der mit aller Schärfe verfolgt wurde.
„Ich habe diese gereckte Faust damals als Kampfansage an alle Kritiker des Regimes gewertet,“ erinnert sich die bündnisgrüne Bezirksverordnete Christiane Heydenreich. Sie wohnte nicht weit vom Denkmal in der Immanuelkirchstraße -„wo ich heute noch wohne“ – und diskutierte mit Freunden über die Bedeutung des Denkmals. „Ich hatte Sorge, dass ein stalinistischer Schwenk bevorsteht,“ erzählt sie. „Andere fanden das Denkmal einfach nur grotesk“.
Anfang der 1990er Jahre sollte das umstrittene Denkmal abgebaut werden. Da es dazu unter anderem aus Kostengründen nicht kam, befanden die Bezirksverordneten zehn Jahre später, dass es sich gut als Ort eigne, die DDR-Geschichte aufzuarbeiten.
Doch obwohl der Beschluss dazu einstimmig fiel, sah es zwischenzeitlich immer wieder so aus, als werde bei der Sanierung des Denkmals die kritische Kommentierung unter den Tisch fallen. Als das Bezirksamt vor zwei Jahren plötzlich von einer künstlerischen Kommentierung sprach, stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erneut den Antrag, eine historisch-kritische Kommentierung vorzunehmen und legte darin fest, dass diese durch eine Historiker-Kommission zu erfolgen habe. Auch dieser Antrag wurde einstimmig beschlossen.
Vor drei Wochen erfuhren nun die Mitglieder des Ausschusses für Kultur, dass der Historiker Jens Schöne aus der vierköpfigen Kommission zurückgetreten war, weil er deren Arbeit nicht mehr mittragen wollte. Die Bezirksverordnete Christiane Heydenreich stellte daraufhin eine Mündliche Anfrage in der folgenden Bezirksverordnetenversammlung am 1. September. Wie genau denn nun die historisch-kritische Kommentierung erfolgen solle, wollte sie wissen. Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) antwortete, die künstlerische wie die historisch-kritische Kommentierung werde eine Journalistin vornehmen, auf Basis der Empfehlungen der Kommission.
Bezirksverordnete von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zeigten sich empört und stritten vehement für ihren gemeinsamen Antrag, die kritisch-historische Kommentierung wie beschlossen zu erarbeiten.
„Der Arbeitsauftrag an das Bezirksamt war eindeutig ein anderer,“ erläutert Heydenreich. „Von Anfang an hat das Bezirksamt gegen den Beschluss der BVV agiert. Der Historiker-Kommission wurde fälschlich mitgeteilt, dass sie nur eine Empfehlung erarbeiten solle. Die Struktur dieser Empfehlung wurde ihnen nicht vorgegeben, so dass jetzt Architektur und Wohnungsbau einen viel größeren Raum einnehmen als die Kritik.“
Heydenreich fehlt in dem 11-seitigen Papier der Kommission der Bezug zum Leben in der DDR: „Beispielsweise die Bedeutung des Appellplatzes! Dort durften Viertklässler antreten und Thälmann die Treue schwören. Diese Zeremonie fand für alle Jungpioniere sonst auf dem Schulhof statt. Dafür bekamen sie dann ihre blauen Halstücher in rote getauscht. Wenn Schulkinder da nicht mitmachten, waren sie mitunter enormen Druck ausgesetzt,“ berichtet sie. Heydenreich fragt sich nun: „Soll auf dem ehemaligen Appellplatz ein positiver Mythos von Thälmann für die alteingesessenen Bewohner des Thälmann-Parks erzählt werden?“
Das ehemalige Kommissionsmitglied Jens Schöne hat ähnliche Kritik. Der stellvertretende Leiter bei Berlins Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ärgert sich über die Behauptung in dem Empfehlungstext, es habe auch eine „volkstümliche Verehrung des KPD-Vorsitzenden“ gegeben, „die eine gewisse Widerständigkeit gegen die erstarrte DDR-Wirklichkeit auszudrücken versuchte“. Schöne trat von der Kommission zurück, weil er das nicht mittragen wollte und erläutert: „Das halte ich als Historiker für Unsinn und als Zeitzeuge für Quatsch.“
Der gemeinsame Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD wurde mit 19 Nein zu 19 Ja Stimmen von der BVV abgelehnt. Aber Heydenreich will weiter dafür kämpfen, dass die DDR-Geschichte kritisch dargestellt wird. „Die Menschen, die heute im Prenzlauer Berg wohnen, wissen überhaupt nicht, was hier war. Das muss erzählt werden.“
Den Antrag „Thälmanndenkmal – nochmals“ finden Sie hier.
Monatliche Nachrichten zu unserer Arbeit in der BVV und anderen Aktivitäten in Pankow